Soulfit-Factory e.V. goes Ahrtal
16. November 2024Wir alle sehen die offensichtlichen, die sichtbaren Schäden und Baustellen nach der Flut im Ahrtal. Doch wie ist es mit den unsichtbaren? Was ist mit dem unsichtbaren, seelischen Schmerz der Menschen? Dies war der rote Faden der Veranstaltungsreihe „Aufbruch-Ahr- Wege aus dem Fluttrauma“. Die Veranstalter: die Rhein-Zeitung und der RPR1-Radio-Sender.
Inhaltsverzeichnis
Geballte Expertise
Im letzten Beitrag haben wir darüber berichtet, dass wir an dieser Veranstaltung, als einer der Aussteller, teilnehmen. Gesagt, getan!
Mit einem Informationsstand und noch mehr Informationsmaterial hatte ich unseren Verein vor Ort, in Dümpelfeld, vertreten.
Ich war positiv überrascht, wie viele Unterstützer sonst noch vertreten waren.
Unter anderem:
- Andrea Stenz, Geschäftsführung der IHK
- Detlef Placzek, Opferbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz
- Jörg Meyrer, Pfarrer der katholischen Pfarrgemeinde St. Laurentius Ahrweiler
- Fortuna Hilft Mensch und Tier
- Bad Neuenahrer „Waschbar“
- Caritas Familienbüros
- Westerwälder Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe „WeKiss“
- ASB, Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler
- Johanniter Fluthilfe im Ahrtal
- Malteser
Fokus Mensch
Während der ganzen Veranstaltung hat man gespürt, dass es allen Anwesenden um den Menschen und die traumatischen Folgen, beziehungsweise den Umgang damit ging. Es gab professionelles Feedback und einen Einblick in den Alltag des Trauma-Hilfe-Zentrums, der IHK Regionalgeschäftsführerin Bad Neuenahr-Ahrweiler, des Opferschutzbeauftragten oder des örtlichen Pfarrers.
Auch Betroffene konnten während der Veranstaltung ihre Fragen oder Beiträge platzieren. Hier ein Ausschnitt aus einigen Beiträgen oder Wortmeldungen während der Veranstaltung.
Wenn der Körper nicht mehr mitmacht
Ein geführtes Interview mit einer Betroffenen, die Ihre Geschichte erzählt hatte, bewegt mich immer noch.
„Ich habe einfach nur geschrien“
Sie weiß nicht mehr, wie lange dieser Zustand anhielt. Das war ihre erste Reaktion, als nach einem Stromausfall in der Flutnacht der Strom und damit auch das Fernsehen wieder anging. Die Nachrichten überbrachten gerade die Meldung über die ertrunkenen Menschen aus einer Pflegeeinrichtung für schwerbehinderte Menschen.
Freeze-Reaktion nach einem Trauma
Danach gab ihr Körper und scheinbar auch der Geist auf. Ein Alltag war undenkbar, selbst die einfachsten Dinge, wie das Umziehen, schienen unüberwindbare Hürden zu sein. 3 Wochen verbrachte sie kraftlos einfach nur im Bett. Sie war mutig und hat die Kraft dazu gefunden, sich Hilfe zu holen. Es war für sie tröstend, zu erfahren, dass ihre Reaktion eine normale Reaktion auf ein Ausnahme-Ereignis ist.
Schockzustand
In so einer Situation befindet sich sowohl der Körper als auch Geist in einem schweren Schockzustand. Man handelt nicht immer rational. Traumatisierte Menschen können in diesem Moment diese Impulse nicht rational kontrollieren. Im Nachhinein zu überlegen „hätte ich doch“ oder „wieso habe/bin ich“, wird ihnen nicht gerecht. Die Reaktionen waren oder sind so wie sie kommen vollkommen okay. Diese Zustände können auch noch Stunden, Tage, Wochen, Jahre nach dem traumatisierten Ereignis urplötzlich und ohne Vorwarnung über einen brechen. Lesen Sie gerne noch mehr über das Trauma und ihre Folgen auch unter unserer Rubrik „Lebenswissen„. Oder suchen Sie ein unverbindliches Gespräch in dem Trauma-Hilfe-Zentrum vor Ort.
Verzweiflung von Angehörigen
Eine junge Frau aus dem Publikum stellte ihre Frage als Angehörige eines Betroffenen. Sie verzweifelt, weil sie sein Leid sieht und fest davon überzeugt ist, dass er Hilfe dringend benötigt. „Ich kann es nicht mehr mit ansehen, wie die Person zerfällt. Ich ertrage es einfach nicht mehr“.
Nichts tun können
Will man die Situation in Gänze betrachten, müssen Angehörige selbstverständlich mit berücksichtigt werden.
- Die verspürte Hilfslosigkeit, nicht helfen zu können;
- Die fehlende Erfahrung, was man denn überhaupt und wie ansprechen darf;
- die gefühlte Ohnmacht, die damit einher geht;
- die erschwerte Beziehung
All das kann extrem belasten.
Unterstützung
Jemanden mitzuteilen, man mache sich Sorgen um die Person, ist nicht verkehrt. Zum einen zeigt es, dass es Ihnen an dieser Person etwas liegt. Zum anderen könnte es für denjenigen auch erleichternd sein, gesehen zu werden. Und ganz wichtig: manchmal scheint es, als wäre „einfach für einen da zu sein“ nicht genug. Doch Sie übernehmen damit einen sehr wichtigen Anteil, eine Stütze in dieser herausfordernden Zeit. Wenn Sie mögen, können Sie auch als Angehöriger zum Beispiel das Trauma-Hilfe-Zentrum oder die TelefonSeelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler kontaktieren. Gerne können Sie auch uns anschreiben.
Sich als Last empfinden
Wie lange „darf“ man denn noch überhaupt über das Thema sprechen? So in etwa war die Frage einer anderen Wortmeldung. Die Damen aus dem Publikum empfand sich bereits als ein Stück weit lästig. Wenn sie das Thema im Bekanntenkreis ansprach, „fühlte“ sie regelrecht das Augenrollen ihrer Zuhörer. Dabei ist es ein typisches Traumazeichen, immer wieder über das Erlebte reden zu müssen.
Zeit heilt
Auch wenn andere Personen etwas weiter sind oder sich noch in der Verdrängung befinden, kann ich nur eins sagen: „Bitte, nehmen Sie sich so viel Zeit, wie nötig!“. Es gibt einfach kein Auslaufdatum für seelisches Leid. Genau so wenig, wie es das ultimative Rezept für deren Heilung gibt.
Transgenerationale Trauma
An dieser Wortmeldung fand ich aber auch einen anderen Aspekt sehr wichtig. Da ich mich persönlich für das Thema sehr interessiere, klingelten bei mir die Glöckchen im Kopf, als die Rednerin sich mit den Großeltern aus dem zweiten Krieg verglich. Auch sie, so erinnert sie sich, wurden als lästig empfunden, wenn sie zum x-ten Mal die Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg erzählten.
Reinszenierung
Hier wird eine Erfahrung der Großeltern reinszeniert. Es kann nämlich passieren, dass wir Ereignisse oder Erfahrungen unserer Vorfahren auch generationsübergreifend wiederholen. Dies sind die sogenannten transgenerationalen Trauma. Die Wiederholung muss nicht 1:1 sein, es geht vielmehr um ein Kernproblem, ein nicht verarbeitetes Trauma, welches es noch zu heilen gibt. So wird dieses Trauma, wie eine heiße Kartoffel von einer Generation in die nächste getragen.
Gerne können sie für mehr Informationen in den Artikeln „Was machst du mit deiner heißen Kartoffel?“ oder „Wenn die Seele sich erinnert“ und unter „Verwurzelung“ weiter lesen.
Zusammenfassung
Aus den Beiträgen aber auch den geführten Gesprächen wird klar, dass die seelische Arbeit noch nicht abgeschlossen, sondern erst am Anfang steht. Es braucht Zeit und vor allem Geduld. Wenn ich mir den Vergleich erlauben darf, kommt nach der Wasser-Flut nun die Flut der an Trauma leidenden Menschen.
Psychoedukation
Es braucht Aufklärung. Aufklärung über seelische Belastungsstörungen, Reaktionen und Umgang mit Trauma. Informationen, die es den Betroffenen ermöglichen, zu verstehen, was in ihnen vorgeht. Auch Herr Meyrer, Pfarrer der Gemeinde Ahrweiler, sieht den Bedarf der Wissensvermittlung für einen besseren Umgang mit der Situation.
Hier sehen wir uns mit unserem Vereins-Engagement bestätigt, weiter zu machen.
Unterschwellige Angebote
Für die Betroffenen da zu sein, ist ein guter Ansatz. Ihnen die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu geben, ohne sie zu bedrängen.
Neben den bereits erwähnten Hilfsangeboten sind auch Begegnungsstätte eine wunderbare Gelegenheit für einen Austausch oder sozialen Kontakt. So etwa die lokalen Angebote vom Hoffnungswerk oder KERIT.
Zeit
Doch vor allem braucht Heilung eins: ihre Zeit. Bei Heilung gibt es leider keine Abkürzung und sie lässt sich nur schwerlich bedrängen. Da kann der Schuss auch mal nach hinten losgehen.
Wenn Sie frisch nach einer offenen OP sich in der Rehabilitation befinden, ist es nur einleuchtend, ein operiertes Bein nicht mit Langlauf zu belasten. Die Herausforderung bei emotionaler Belastung ist, dass die hinterlassenen Wunden nicht sichtbar sind. Den Schmerz verspürt man allerdings umso deutlicher.
In Kontakt bleiben
Nehmen Sie sich daher bitte Zeit und seien Sie mit sich oder Ihren Angehörigen geduldig. Nehmen Sie gerne zu uns Kontakt auf, falls Sie weitere Informationen benötigen. Ich stehe Ihnen als Ansprechpartnerin vor Ort zur Verfügung. Wenn Sie andere unterstützen wollen, indem Sie über Ihre eigene Geschichte sprechen, schreiben wir auch über Ihre Erfahrungen gerne einen Beitrag.
Schauen Sie sich unseren Film über das Ahrtal an und abonnieren Sie gerne unseren Blog, um auf dem Laufenden zu bleiben.
1 Comment
Liebe Helena,
Gut, dass Du auch dieses Mal vor Ort warst!
Und vielen Dank für diesen super interessanten Bericht.
Ich bin einfach immer wieder sehr betroffen in so vielerlei Hinsicht und auch dieses Mal, was die Menschen Dir schildern.
Hoffen wir, dass die hilfreichen Informationen auch von unserem Verein bei denen landen, die einen Weg aus dem Trauma-Nebel in eine bessere Lebensqualität suchen.