Lebenswerke Teil 1 – Steindrella
26. Juni 2022Lughnasad, Löwen und Dankbarkeit
28. Juli 2022Als Carlos seinen Fortbildungskurs für Fotografie in Sylt antreten wollte erfuhr er, dass sich dort die Punks versammelten.
Sie hatten das 9.- € Ticket genutzt, um gegen die zu rebellieren, die in den Medien geäußert hatten, dass Punks auf Sylt nicht erwünscht seien.
Erst dachte Carlos, dass damit seine Reise erledigt war, doch dann fuhr er dennoch hin.
Lest selbst, was er dort erlebte:
von Carlos Vicente de la Plaza
Inhaltsverzeichnis
Die Lebenswerke
Vergangene Woche habe ich den Beitrag Lebenswerke Teil 1 von Steindrella mit Begeisterung gelesen. Die Kolumne ist mit Liebe und Wissen verfasst.
Die Botschaft des Artikels, dass Reisen den Horizont erweitern, möchte ich zum Anlass nehmen, um ein paar Zeilen meinerseits zu schreiben.
Mein Name ist José Carlos Vicente Plaza.
Ich bin selbstständig im Bereich der Technischen Gebäudeausrüstung und habe mich im Verlauf meiner Berufung auf Bestandsgebäude spezialisiert.
Heute soll es jedoch nicht um das Bauen gehen, sondern um die Fotografie und den Weg zu einem Foto.
Im Hohen Norden
In der dritten Juniwoche dieses Jahres, habe ich ein Fortbildungswoche im hohen Norden Deutschlands erleben dürfen.
Die Sommerakademie stand vor Reisebeginn nicht im besten „Fotolicht“.
In den Medien hatte ich davon gelesen, dass dort, wo ich hinfuhr, der Ausnahmezustand herrschte.
Punks auf der Insel
Mit großer Vorfreude habe ich über Wochen und Monate dieser Woche entgegengefiebert.
Doch dann erfuhr ich: Punks haben das 9.-€ Ticket genutzt und sind auf der Insel Sylt gelandet.
Ich fragte mich erschrocken: wollen die Punks mir einen Strich durch die Rechnung machen?
Schließlich hatte ich mir Ruhe, Freude und die Gelassenheit herbeigesehnt, die ich mit Fotografie verbinde.
Das Gegenteil davon sollte mir nun begegnen?
Das Beste draus machen
Doch ich beschloss, das Beste daraus zu machen und fuhr ins Abendteuer Sylt.
Ich spürte meine innere Unruhe vor der Fahrt, die mir aber durch die täglichen Herausforderungen mit Familie und Arbeit nicht neu war.
Jede Lebensbewältigung hat ihre anstrengenden Seiten, auch meine.
Entgegen meiner Befürchtung, erlebte ich am Reiseziel aber von der ersten Minute an die ersehnte absolute Ruhe.
Von Punks, war weit und breit nichts zu sehen und nichts zu hören.
Der Kurs
Am Sonntagnachmittag begann der Kurs.
Erstes Kennenlernen und a bissele beschnuppern der einzelnen Teilnehmer und Dozenten standen auf dem Programm.
Dann der Schock.
Die Punks waren da – Ne, Spaß – es war schlimmer. Viel schlimmer!
Im Loch
Auf dem Gelände in allen öffentlichen Gebäuden, insbesondere im Speisesaal, herrschte Maskenpflicht.
Ich konnte es nicht fassen und fiel in ein Loch, aus dem ich erstmal nicht nicht wieder herausfinden konnte.
Künstlerische Freiheit und dieser engstirnige Kadavergehorsam passen aus meiner Sicht überhaupt nicht zusammen.
Drei Abende und drei Morgen stampfte ich trotzig ohne Maske in den Speisesaal.
Es fühlte sich an, als würde ich die Höhle eines großen braunen Bären betreten, den ich nicht sehen, aber dafür umso doller mit weiteren Wahrnehmungsorganen erfassen konnte.
Bär hin oder her, ich wollte atmen und war auf Konfrontationskurs.
Dann nicht…
Am 3. Tag folgte die Kritik an meinem Nichttragen der Maske und damit war das „kulinarische Angebot“ für mich gestorben.
Mir wurde klar, dass ich die übergehorsamen Maskenfetischisten weit schlimmer fand, als die Punks.
Ich ass ab sofort auswärts.
Als Belohnung für meine klare Entscheidung verspeiste ich Berge wunderbarer Fischsemmeln.
Äpfel, Bananen, und Schokokekse. ja, und ein herrliches Stück Zwetschgenkuchen mit Sahne konnte ich genießen.
Dankeschön!
An dieser Stelle bedanke ich mich ganz herzlich bei den unmaskierten Fischen, Fischern, Köchen und den Verkäufern, die das leckerer Mahl ermöglicht haben.
Es war so lecker, dass ich beinahe die Fotografie vergessen hätte.
Aber es gab ja den Kurs.
Wie gesagt: Für mich passt das Maskentragen nicht zu einem kreativen Prozess.
Ich war ärgerlich und anfangs nur mit Mühe in der Lage, mich emotional auf die Fotografie einzulassen.
Doch ich wollte mir auch durch sture Maskenträger nicht den Weg versperren lassen und langsam fand ich dann den Weg zu neuen Antworten.
Was will ich vermitteln?
Das war eine neue, wichtige Frage für mich.
Wenn ich an Kunst und Philosophie denke, verbinde ich diese Begriffe mit Leben und Tod.
Zusammengefasst: das Sein in seinem Stirb und Werde.
Bei der Auswahl meiner täglichen Bilder suchte ich den Namen für meine Fotoaufgabe.
Meine Bilder sollten „Zukunft“, „Freiheit“ und „Lebensgeister“ heißen.
Wie man sieht, vertragen diese Begriffe keine Einschränkung des Atems durch Gesichtsmasken.
Wasser – ein spannendes Thema
Ich lese im Augenblick das Buch „Liebe und Dankbarkeit“ von Masuro Emoto.
Emoto forscht zum Element Wasser in seinem Bezug zu Menschen und Tieren.
Auch in der Deutschen Mythologie spielt das Element Wasser ein besondere Rolle.
Der Wassermann, die Nixe oder die Undinen, ein halbgöttliches Elementargeister, ja selbst in einem Tautropfen soll ein Geist leben.
Sichtbares und Unsichtbares
Meine Kurs-Kollegin Gaby hat sich ebenfalls mit dem Thema Wasser auseinandergesetzt.
Sie verfolgt den Gedanken, wie das Wasser mit seiner zerstörerischen Kraft als auch dessen Schönheit in einem Bild erfasst werden kann.
So unterschiedlich unsere Gedanken sind, Wassergeister (unsichtbar) und Wasserkraft (sichtbar), sind doch unsere Beweggründe Wasser zu fotografieren die Gleichen.
Freiheit
Foto 1: CarlosVicentedelaPlaza – Der Tanz der Geister zur Sonnenwende
In diesem Foto sind meine Gedanken zum Thema „Freiheit“ festgehalten.
Hierzu stelle ich mir folgende Fragen.
Was ist „Freiheit“?
Kann Freiheit „geschützt“ werden?
Welche Farbe hat die Freiheit?
Foto 2: CarlosVicentedelaPlaza –
Das ist mein Katalysatorfoto zum Gedanken „Freiheit“.
Das Bild „meine Freiheit“ ist aus dem Foto „Freiheit“ heraus entstanden und hat eine besondere Entstehungsweise.
Das Foto habe ich sozusagen aus dem Nichts erstellt.
Was bedeutet das aus dem Nichts?
Es ist ganz einfach.
Wenn das Motiv dich findet
Martin Timm, ein Fotograf, Dozent, Musiker und Forscher beschreibt in seinem Buch „Haiku Fotografie, eine neuen Art zu fotografieren“ den Vorgang des Fotografieren folgender Weise:
Das Motiv findet den Fotografen und nicht der Fotograf das Motiv.
Und genau so habe ich es ganz unbewusst bewusst ausprobiert.
Ich hatte eine Weile mit einem Teleobjektiv gearbeitet, konnte jedoch mit diesem Objektiv keine Verbindung zur Natur aufbauen.
So beschloss ich, die Brennweite zu ändern und wechselte das Objektiv auf eine Brennweite die dem menschlichem Blickwinkel entspricht.
DAS Bild
Nachdem ich das Objektiv gewechselt hatte, lies ich mich in den Sand zwischen den Gräsern fallen, mit dem Sucher am Auge jedoch ohne die Kamera einzuschalten.
Erst als ich lag, schaltete ich den Fotoaparat ein
Was ich in meinem Sucher sah, war genau das was ich fotografieren wollte.
Da war dieses unglaublich schöne Gefühl: Ja, das ist es!!
Ich habe fünf Aufnahmen gemacht und wusste das es „Das Bild ist“.
Foto 3: CarlosVicentedelaPlaza – Das ist aus meiner Sicht „meine Freiheit“ (Titelfoto)
Gefühle des Erschaffens
Nachdem ich mein Foto gemacht habe, stellte sich wie beschrieben das Gefühl ein, etwas schönes Erschaffen zu haben
An diesem Tag hatte ich insgesamt bis zu diesem Zeitpunkt ca. 30 oder 40 Fotos gemacht.
Bis zu unserer Rückfahrt hatte ich noch 1 ½ h Zeit und ich fragte mich wie ich diese füllen kann.
So entschloss ich mich dazu weiter Fotos zu machen.
Wolke Sieben weggeknipst
Meine Motivation war so halblebig, dass es zu dem Gefühl kam, dass ich mein Gefühl der Wolke sieben mir selbst wegknipste.
Als ich das bemerkte, hörte ich mit dem Fotomachen auf um das Gefühl des Glücks nicht zu verwässern.
Stattdessen nutzte ich die Entspannung für die Reflexion meiner Gedanken.
Wie viel Punk steckt in mir?
Zu Beginn meiner Fotoreise, hatte ich mir die Frage gestellt:
Warum werde ich Punks begegnen?
Doch stattdessen war ich auf philosophierende und der Kunst zugewandte Menschen gestoßen, die im vollen Gehorsam eine Maske trugen.
Plötzlich erkannte ich, dass die Punks und die Maskenträger zwei Seiten der gleichen Münze sind.
Beide reagieren auf ein Herrschaftssystem, das man lieber mit seinem Lebenswerk beantworten sollte.
Erweiterung des Horizonts
Mein Horizont wurde auf dieser Erkenntnisreise erweitert.
Die Punker sind ungehorsam und „dagegen“, bleiben aber in der Rebellion hängen, sind oft suchtkrank und letztlich wütend, aber überhaupt gar nicht frei.
Die sich selbst erstickenden Maskenträger schaden sich vor lauter Gehorsam selbst.
Sie sind die „braveren Kinder“ als die Punks – aber was haben sie davon?
Schaden tun sich beide.
Und meine Resonanz?
Obwohl ich keinen Punks begegnet bin, waren sie die ganze Zeit in meinem Kopf.
Doch dann hat mich das Nachdenken über die Punks weiter gebracht und ich bin ihnen dankbar.
Auch ich habe rebelliert und bin gegangen.
Vielleicht habe ich sogar gefühlt, wie Rebellion und Wut beinahe meinen kreativen Prozess beeinträchtigt hätten.
In der Mitte liegt die Kraft
Aber ich bin weder, wie die Punks in der Rebellion hängen geblieben, noch habe ich mich dem Un-Sinn gebeugt, wie die Maskenstreber
Nach meinem „Nein“ habe ich meine Mitte gesucht und dort meine Kunst wiedergefunden.
Nun habe ich die passenden Fragen für den Fall der Fälle, dass ich den Punks wirklich einmal begegne und wer weiß, vielleicht werde ich sie irgendwann mal fotografieren und mich erinnern, was sie mich gelehrt haben.
Fotos von Carlos findet ihr auf dem Instagram Account:
https://www.instagram.com/carlosvicentedelaplaza/