Führung versus Dominanz und Mobbing- Teil I: Wer dominiert, führt nicht!
24. Juni 2024Sommerfest 2024 und Vorstandssitzung
28. Juli 2024von Helena Daudrich
Inhaltsverzeichnis
Selbstschutz muss sein
In dem vorangegangenen Artikel zum Thema Führung und Dominanz ging es in erster Linie darum, die einzelnen Formen der Dominanz zu beleuchten. Wenn Sie erkannt haben, dass Sie oder ein Angehöriger von Ihnen betroffen sind, ist die Erkenntnis oft mit einem Schreck verbunden. Wer Unregelmäßigkeiten benennt, gerät selbst ins Fadenkreuz. Deswegen sollten Sie das Thema Selbstschutz beherrschen, bevor Sie im Außen tätig werden. In diesem Artikel geht es daher insbesondere darum, welche versteckten Mechanismen Sie an Ihrem Selbstschutz hindern könnten.
Dulden oder Handeln
Dominante Personen wollen unterwerfen. Aggressivität und Grenzüberschreitung bringen sie kaum in einen Gewissenskonflikt. Angesichts ihres unreflektierten Durchsetzungstriebs sind sie selten mit Einsicht gesegnet. Solche Persönlichkeiten treffen Sie nicht nur auf der Arbeit an. Ob im Bekanntenkreis, unter den Familienmitgliedern oder ihrem Lieblingsverein, Dominanz kann Ihnen überall begegnen. Im ungünstigen Fall stoppt sie nicht mal vor Ihren intimsten Lebensbereichen: Ihrer Gesundheit, Ihren Kindern, Ihrer Partnerschaft oder Ihrem Lebenswerk. Entsprechend sollten die Betroffenen die Entscheidung gut überlegen, ob Sie das Verhalten dulden oder dagegen angehen wollen.
Kluge Menschen lassen Dominanten keinen Vortritt
Auch UnternehmerInnen oder Unternehmen sind gefragt, sich zumindest bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen. Denn Dominanz ist destruktiv und verfolgt eigene, höchstpersönliche Ziele. Man sollte sich fragen, wofür sich dominante Menschen entscheiden, sobald die Unternehmensziele den eigenen im Weg stehen. Was glauben Sie, wird auf die letzten Meter die Oberhand nehmen? Wenn schon nicht aus moralischen Gründen, dann aber zumindest angesichts der Unternehmensinteressen sollte eine Entscheidung getroffen werden, ob solches Verhalten geduldet wird.
Wehrhaftigkeit und Selbstschutz
Die Einstellung dazu ist so kontrovers wie noch nie. Gefühlt wird erwartet, dass alles und jeder toleriert werden soll, auch wenn man sich selber, seine Bedürfnisse damit schmerzvoll verleugnet. Man muss also einen Zustand „ertragen“. Dies scheint sich in der Gesellschaft zunehmend auf eine absolute und allgemeingültige Weise durchzusetzen.
Ich führte zuletzt eine Unterhaltung mit einem 7-jährigen Mädchen. In der Schule wurde sie Opfer von Mobbing. Als wir darüber sprachen, dass sie sich auch wehren darf (und nein, dabei ging es nicht um physische Gewalt oder vergleichbar), kam ihrerseits die Aussage „aber nicht in der Schule, dort dürfen wir uns nicht wehren“. Bitte was?! Keiner, ob Kind oder Erwachsen, sollte seelisches Leid, ohne eine Chance auf Gegenwehr, erfahren müssen.
Erlaubnis zum Selbstschutz
Dürfen Sie sich wehren? Denken Sie an eine Not- oder Gefahrensituation. Wie schaut es mit der emotionalen oder seelischen Not aus? Gelten da etwa andere Maßstäbe? Wenn ja, wer hat sie aufgestellt und hat derjenige wirklich Ihr Bestes im Sinn gehabt? Denn es heißt ja nicht umsonst „psychische Gewalt“. Die Qualität einer emotionalen Verletzung ist nicht minder, nur wenn sie nicht wie eine physische Wunde auf den ersten Blick sichtbar ist.
Lassen Sie zunächst die Erkenntnis „Ich darf mich wehren!“ in Ruhe auf sich wirken und sich entfalten. Sie könnten es sich auf einen Zettel aufschreiben und prominent platzieren oder bei sich tragen. Wandeln Sie diesen Satz so um, wie es sich für Sie am besten anfühlt. Solche Aussagen unterstützen Sie bei der Selbstermächtigung und eröffnen neue Reaktionsalternativen.
Selbstverteidigung muss sein!
Unbewusste „Einverständnis“ zur Grenzverletzung
Wer gibt jemanden das Recht, unseren Lebensraum zu dominieren?
Auch wenn es eine schwere Kost ist: die letzte Verteidigungs-Instanz bei einer Grenzüberschreitung sind wir selbst. Wenn wir dominiert werden, haben wir uns zu irgendeinem Zeitpunkt damit unbewusst „einverstanden erklärt“. Zumindest das Eltern-Ich, das uns die gesunde Wehrhaftigkeit aberzogen hat, war einverstanden. Nicht alle Eltern bringen ihren Kindern ein gesundes Gerechtigkeitsgefühl bei.
In den meisten Fällen äußert sich das Einverständnis emotional: wir empfinden Liebe, Angst oder Mitgefühl für diejenigen, die uns schaden wollen. Die Auflösung solcher seelischen „Verträge“ kann bei manchen zur Lebensaufgabe werden. Seien Sie daher liebevoll und geduldig mit sich. Und vielleicht sehen Sie es mal so: ob bewusst oder unbewusst, einmal erteiltes Einverständnis kann wieder entzogen werden! Nehmen Sie sich das Recht raus, es steht Ihnen zu!
Die eigenen Grenzen wahrnehmen
Bevor Sie Ihre Grenzen verteidigen können: kennen Sie diese? Die Grenze unseres Körpers liegt uns am nächsten. Nehmen Sie diese bewusst wahr. Doch vielleicht möchten Sie mehr Raum beanspruchen und die eigenen Grenzen weiter fassen? Bis wohin darf ein unwillkommener Eindringling maximal gehen? Auch physisch können Sie mit einem Freund ausprobieren,
wie nah derjenige Ihnen kommen darf, ohne Ihre Wohlfühlzone zu verletzen. Erweitern Sie den Abstand bei einem Fremden und sagen Sie entschieden: „Stopp!“. Keine Sorge, wenn es nicht sofort gelingt, nehmen Sie sich die Zeit.
Reflexionsfragen
Denken Sie auch an die emotionalen oder seelischen Grenzen:
- Welche Lebensbereiche sollten nur Ihnen gehören?
- Wo nehmen Sie wohlgemeinte Impulse entgegen?
- Wo und warum dulden Sie Aggressoren?
- Wofür lohnt es sich, Ihre Grenzen zu verteidigen?
- Stellen Sie sich vor, Sie haben die Zügel in der Hand, wie würden Sie das eine oder andere Thema angehen, wie gestalten?
Nehmen Sie es bewusst wahr und schreiben dies auf. Desto tiefer Sie an dieser Stelle gehen, desto mehr schärfen Sie Ihre Wahrnehmung zu eigenen Grenzen.
Selbstüberprüfung als Lernchance
Hier kommt eine gute Nachricht: Sie sind nicht alleine! Jeder kreuzt mal den Weg dominanter Persönlichkeiten auf ihrem Ego-Gaul und dennoch sind wir alle noch da. Neider, die sich lieber Ihre Errungenschaften aneignen wollen, statt selber tüchtig zu sein oder jemanden, der ohne einen richtigen Grund dominiert, wird es immer geben.
Seien Sie allerdings so fair, zunächst die Kritikpunkte, die auf dem Tisch liegen, einer Realitätsüberprüfung zu unterziehen. Vielleicht ist an dem einen oder anderen Punkt etwas dran? Wahre Größe zeigt sich dort, wo Demut herrscht. Keiner ist fehlerfrei und vielleicht dürfen Sie Ihren Erfahrungsschatz noch bereichern und eine mögliche Kurskorrektur dient Ihrem Persönlichkeitswachstum.
Gegendominanz als Handlungsalternative?
Wenn Überzeugungskraft scheitert, dürfen Sie sich anderweitig verteidigen? Dürfen und können Sie einer dominanten Person mit Dominanz begegnen? Denn Ihr Lebenswerk, Ihr Territorium will verteidigt werden!
Eine „gesunde“ Form der Dominanz können wir wohl am ehesten in der Tierwelt entdecken. Schauen Sie sich etwa das Verhalten in einem Wolfs- oder Hunderudel an. Verhält sich ein Rudelmitglied inkorrekt und greift ein anderes Mitglied an, wird er vom Alpha-Tier „korrigiert“, so nennen es die Hundetrainer. Hinter der Korrektur steckt keine Bestrafungslust. Das Alphatier setzt nur so viel Gegenwehr ein, wie viel erforderlich ist, um einen Regelbrecher „zu RECHT“ zu weisen, damit wieder Ordnung herrschen kann.
Nun sind wir keine Tiere, soweit schon mal klar. Allerdings ähnelt das Verhalten mancher Menschen nur allzu sehr dem eines bissigen Hundes, der keine Grenzen akzeptiert oder kennt. Vielleicht ist es dann nicht verkehrt und gar angebracht, mit demjenigen in seiner „Sprache“ zu sprechen?
Wie steht es also mit Ihrem eigenen Anspruch auf Aggressivität? Es gibt ja auch kultiviertere Formen der Wehrhaftigkeit als dem Zähnefletschen oder gleich Zubeißen 😉 Wer sich verteidigen will, muss Aggressivität zulassen können!
Die verwehrten Emotionsoptionen
Heutzutage beobachte ich, dass Emotionen in erlaubte und unerlaubte Kategorien eingeteilt werden.
Doch verwehren Sie sich nicht Ihre Chance auf Ihre Emotionsoptionen, wozu auch die Aggression oder Wut gehören kann. Insbesondere wenn wir mit bestimmten Emotionen beispielsweise in der Kindheit negative Erfahrungen gesammelt haben, hängen wir ein Vorhängeschloss darauf. Sie nehmen sich dadurch die Chance, aus der Gesamtheit der Ihnen als Erwachsener zur Verfügung stehenden Ressourcen zu handeln.
Wenn Sie zum Beispiel in Ihrer Kindheit einem aggressiven Elternteil ausgesetzt waren und von diesem massiv dominiert wurden, könnten Sie sich dann sagen hören „Ich werde nie so werden, wie meine Mutter oder mein Vater“. Doch Aggressivität kann insbesondere bei der Selbstverteidigung lebenswichtig werden. Überlegen Sie sich daher ganz genau, welche Emotionen Sie sich verbieten und was es für Sie zufolge haben kann.
Dies soll keinesfalls ein Freifahrtschein für ein unreflektiertes Benehmen werden. Hier geht es insbesondere darum, sich zunächst im inneren Dialog die Erlaubnis zu geben, Paroli zu bieten und nach außen eine klare Kante zu zeigen. Die Erfahrung zeigt, dass Menschen alleine schon mit geänderter innerer Haltung bereits Erfolge erzielen.
Unterbewusste Fallstricke
Eine Führungskraft muss sich, andere und ihre Ziele verteidigen können. Es kann aber sein, dass insbesondere unser Unterbewusstsein uns einen Strich durch die Rechnung macht. Durch einige der hier aufgeworfene Fragen konnten Sie überprüfen, wie es Ihnen mit eigener Aggressivität oder Gegenwehr geht? Unsere Reaktionen können schon manchen Aufschluss über uns und unsere Beziehung zum Thema Führung geben. Ich kann mir gut vorstellen, dass bei dem einen oder anderen auch mal ein Herzschlag ausgesetzt hat.
Doch lassen Sie uns noch eine Ebene tiefer gehen und ein artverwandtes Wort in Augenschein nehmen. Schließlich kombiniert unser Unterbewusstsein bekannterweise Inhalte, auch ohne dass wir davon etwas merken und reagiert darauf entsprechend.
Das Wort „Führung“
Wie geht es Ihnen mit dem Wort Führer? Ich möchte an dieser Stelle Ihr Bewusstsein schärfen, dass das Wort „Führer“ oder auch „Anführer“ im Grundsatz nichts mit einem Diktator gemein hat. Wenn bei dem einen oder anderen sich beim Wort „Führer“ aber bereits die Nackenhaare aufstellen, muss ich mir die Frage stellen, was in unserem Unterbewusstsein passiert, wenn wir von der wortverwandten „Führung“ sprechen? Inwiefern wird allem, was deutsch ist, das Recht auf Selbstschutz aberkannt? Ob unsere Seele dann vielleicht zwar keinen Aussetzer, aber zumindest eine Schnappatmung bekommt? Dies wäre ein wichtiges Zeichen unseres Unterbewusstseins und der dort abgespeicherten Informationen.
Wirkung der Worte
Ich jedenfalls unterschätze die Wirkung der Worte und des Unterbewusstseins nicht. Mir als Russlanddeutsche, die die Sprache unter anderem mit Hilfe eines unvoreingenommenen Wörterbuchs gelernt hat, ist das Wort anfangs einige Male, ohne böse Absicht über die Lippen gekommen. Die tellergroßen Augen meiner Gesprächspartner können Sie sich sicherlich vorstellen.
Nach nun fast drei Jahrzehnten muss ich leider gestehen, dass auch für mich, proportional zu meinem Leben in Deutschland, das Wort seine Unschuld verloren hat. Auch ich muss insofern in mich hineinfühlen, ob ich noch einen ruhigen Puls habe, wenn ich in die Führungsverantwortung gehe, oder es mir teils wegen des Tabus unbewusst verwehre. Wie steht es dann wohl um die Führungskultur in ganz Deutschland – und um den Selbstschutz seiner Bevölkerung?
Selbstreflexion als Ausstiegschance
Keiner kann uns vor unangenehmen Begegnungen oder Menschen gänzlich bewahren. Doch wir können lernen, damit besser umzugehen. Die Arbeit beginnt immer bei uns selbst. Denn auch wenn wir es schaffen, aus einer Situation zu fliehen, statt sie zu lösen, werden uns die darin verborgenen Lerninhalte auf andere Weise wieder einholen.
Ich lade daher dazu ein, anzufangen, sich die oben aufgeworfenen Fragen selbst zu stellen, wenn Sie mögen, in Begleitung durch einen Coach. Mit geänderter innerer Einstellung wird sich ein Aggressor zweimal fragen, ob er Sie angreifen soll. Dabei müssen Sie nicht „zurückschlagen“, meist reicht es schon, wenn Sie die Möglichkeit dazu nicht ausschließen. Glauben Sie mir, das werden Menschen um Sie herum wahrnehmen.
Erlauben Sie sich den Zugriff auf alle, Ihnen als Erwachsener verfügbaren Ressourcen!
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