1. Schicksal und Lebenswerk im Ahrtal
9. August 2023Totgeschwiegen – das Ahrtal
31. August 2023von Tina Wiegand
Am 23.8.2023 brach unsere Filmcrew ins Ahrtal auf, um das Filmmaterial für unser Video „Totgeschwiegen“ zu drehen.
Filmemacher Franz Steiner, Starfotograf Carlos Vicente de la Plaza und Regisseurin Tina Wiegand wurden im VW Bus Richtung Eifel geschaukelt.
Inhaltsverzeichnis
Stau
Ein Stau bei Wiesloch veranlasste uns, uns in die Büsche zu schlagen, um irgendwo Pause zu machen.
Wir überließen es dem Zufall, uns zu einem netten Lokal zu führen und wurden nicht enttäuscht.
Falls mal jemand in Wiesloch stranden sollte, leiten wir gerne die Empfehlung unseres freundlichen Zufalls weiter:
Mr. Lian ist eine geniale Adresse für asiatisches Essen.
Aufheiterung
Die Aufheiterung tat uns gut, denn wenn wir ans Ahrtal dachten, dann wurde uns ein wenig mulmig zumute.
Wir waren alle tief betroffen davon, wie Medien und Politik mit der Situation im Ahrtal umgingen.
Von Helena, wussten wir, dass es manchmal schwer war, sich abzugrenzen und nicht in die Verzweiflung gezogen zu werden.
Daher waren wir dankbar für das liebevoll dekorierte Essen und den netten Service.
Abends bei Helena
Helena Daudrich ist unser Vereinsmitglied vor Ort im Ahrtal und sie steht in Zusammenarbeit mit anderen bei Zusammenkünften für Gespräche zur Verfügung.
Sie hat inzwischen einen guten Überblick über den Zustand der Menschen hier.
Zumindest über diejenigen, die reden.
Aber es gibt viele, die sich im sozialen Rückzug befinden.
Wir beschlossen, diese Menschen besonders zu berücksichtigen und in unserem Video lieber hilfreiche Botschaften unterzubringen, als spröde Erklärungen darüber, wie das Gehirn aufgebaut ist und welche Funktionen welches Nervensystem hat.
Am Feuer
Nach dem Essen saßen wir am Feuer, um das Konzept durchzusprechen.
Aber wir verfielen immer wieder ins Schweigen und starrten ins Feuer.
Schließlich entschieden wir, ergebnisoffen auf die Situation zuzugehen und einfach das zu filmen, was uns vor die Linse kam.
Die Stimmung war friedlich, aber herabgestimmt.
Was hier passiert ist, wird totgeschwiegen, gleichzeitig hat es hier vielen die Sprache verschlagen.
Die Sprachlosigkeit übertrug sich auf uns.
Als wir am nächsten Tag aufbrachen, waren wir Immer noch nicht sonderlich gesprächig.
Schuld
Wie kann man einem Ort den Namen „Schuld“ geben?
Welche Geschichte mag sich dahinter verbergen?
Das konnten wir noch nicht herausfinden, aber vielleicht kommt das noch.
Dort, in Schuld, begann auf alle Fälle die Rundreise, die Helena vorbereitet hatte.
Tatsächlich scheiterten wir gleich am Anfang an einer Sperrung.
An etlichen Stellen sind Straßen und Schienen nach wie vor so unterspült, dass sie nicht benutzt werden können.
Die Ahr – ein Rinnsal
immer wieder überrascht, dass die Ahr ein winziges Flüsschen ist, das unscheinbar vor sich hin murmelt.
Es ist schwer vorstellbar, dass sich ein so kleiner Fluss, den man an manchen Stellen eher als Bach bezeichnen müsste, zu einer 10 m hohen Flutwelle auftürmt.
Doch die Spuren der Überschwemmung bezeugen an vielen Gebäuden, dass das Wasser sogar den 1 Stock der Gebäude überflutete.
Wie konnte das nur geschehen?
Ganze Täler standen unter Wasser, manche Häuser bis über das Dach.
Baustellen überall
Franz filmt meistens schweigend.
Er ist ernst.
Auch Carlos ist nachdenklich.
Er kennt „den Bau“ und hat Fragen. Viele Fragen.
Es wohnen nur noch 10% der Bevölkerung hier im Ahrtal.
Sie sind teils in Ferienhäusern und Containern untergekommen.
Aber die meisten sind weg gezogen.
Ende der Unabhängigkeit
„Wenn du heute bei den 15 Minuten Städten nicht mitmachst, bist du weg vom Fenster.“
sagt Carlos nachdenklich.
Die Weiler waren unabhängig.
Das ist vorbei.
Wir kommen an einem wunderschönen Gehöft im Wald vorbei.
Ein reicher Holländer hat sich hier eingekauft. Nur für ein paar Tage im Jahr.
Eine ansässige Schriftstellerin ist laut Helena sehr erbost darüber, dass das 6 Seelendorf nun einen Fremden beinhaltet, der nur ab und zu, Jagen kommt.
Die Idylle der Eifel trügt
Das Ahrtal und seine Umgebung ist amerikanisches Militärgebiet mit dem Mittelpunkt Büchel, der nur ca 30km von hier entfernt liegt.
Airwulf Staffeln schwärmen regelmässig durch das Gebiet und amerikanische Jetpiloten machen sich einen Spass daraus, die Schallmauer zu durchbrechen.
In der Gegend gibt es viele ehemalige Bunker.
Im ehemaligen Regierungsbunker aus der Zeit, als Bonn noch Hauptstadt war, feiern Kinder Geburtstag.
Den Postbunker hat Helena vor kurzem besucht.
Eindrucksvoll, diese riesigen unterirdischen Anlagen, sagt sie.
Freundlich und dankbar
Die Ahrtaler, die uns begegnen sind alle sehr freundlich.
In jedem Restaurant fühlt man die Dankbarkeit dafür, dass man ein wenig Geld hier lässt.
Überhaupt ist man hier den vielen Helfern sehr dankbar.
Immer wieder sieht man große „Danke“ Schilder in den Feldern stehen.
Keine helfende Hand wurde hier ignoriert oder übersehen.
Solidarität mit dem Ahrtal
Die Solidarität mit dem Ahrtal ist riesig.
Vielleicht weil das hier so symptomatisch ist für den Umgang mit unserem Land und unseren Landsleuten.
Die Ahrtaler sind nicht die ersten Deutschen, deren unermessliches Leid von ebenso feindlichen wie zynischen Kräften totgeschwiegen wird.
Sie waren nicht die ersten, aber wir werden ganz sicher unseren Beitrag leisten, dass sie die letzten sind, bei denen das gelingt!
1 Comment
Das Projekt war alles Andere als leichte Kost. Besonders nachdenklich macht es mich, dass in Zeiten der „Digitalisierung am Bau“, dass der Wiederaufbau schwer zu erkennen ist. Ich habe 30 Jahre Berufserfahrung am Bau. Jedes weitere Berufsjahr bringt eine neue Erfahrung mit sich. Diese hier, auch wenn ich beruflich nicht direkt davon betroffen bin, fühlt sich an wie eine schallende Backpfeife.
Ich bin gedanklich bei den Ahrtalern und sende ihnen Licht und Kraft für den Wiederaufbau ihrer Städte.