von Kathrin Uberig
Übermässiger Gehorsam bedeutet, dass dein eigenes Selbst nicht entwickelt wurde und du damit auch keine wirkliche Verantwortung für dich selbst nehmen kannst. Dies führt dazu, dass du es anderen vor allem recht machen willst und du dich durch die Überanpassung im Lauf des weiteren Lebens vom eigenen Selbst immer mehr entfremdest.
Diese Zusammenhänge sind eine große Gefahr für deine gesunde Autonomie-Ent-wicklung. Aber auch gesellschaftlich betrachtet ist übermässiger Gehorsam eine Gefahr für die Demokratie. Aus diesem Grund hat jeder deiner Schritte, deine eigenen Gefühle und Wünsche zu entdecken, nicht nur für dich, sondern auch für dein Umfeld und darüber hinaus für die Gesellschaft eine wesentliche Bedeutung.
Aktuell erleben wir eine große Destruktivität, die sich hinter mit vermeintlicher Menschenliebe tarnt. (Solidaritäts- Bekundungen durch dominierende Aktionen) oder dem sogenannten „vernünftigen“ Handeln verbergen. „Vernünftiges“ Handeln als eine Form von Gehorsam zu erkennen, hat mich zu folgender Frage geführt:
„Wo sind deine Wurzeln, was speist diese und welche Auswege kann es geben?“
Der Gehorsam ist ein Regulierungsprogramm, das schon sehr früh sich beginnt zu entwickeln. Kinder durchlaufen ein ureigenes Entwicklungsprogramm. Wird das Kind nun durch äußere Einflüsse, wie zu frühe Fremdbetreuung, physische oder psychische Gewalt in und außerhalb der Familie oder einem Mangel an lebensnotwendiger Versorgung konfrontiert, ist es gezwungen Mechanismen zu entwickeln, die es vom ureigenen Entwicklungsschritt entfernen und dieser dadurch nicht stattfinden kann. Dieser jeweilige Schritt wird entweder zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt, der in der Regel aber gesellschaftlich wenig toleriert wird, wie zum Beispiel die Trotzphase, die nicht durchlebt werden kann. Findet diese in der Schule oder gar erst im beruflichen Umfeld ihren Ausbruch wird es auf wenig Gegenliebe stoßen.
Bis dahin ist dann schon eine extreme Anpassungsleistung vollbracht worden, welche zur zunehmenden Entfremdung und inneren Spannungsaufbau (körperliche Symptome, wie z.B. Rücken-, Kopf- oder Magen- und Darmbeschwerden) geführt hat.
Die Innen- und Außenwelt ist dann nicht mehr stimmig. Somit nimmt die Fähigkeit Verantwortung für sich zu übernehmen ab und Empathie ist schwer möglich und damit auch gewissermaßen die Menschlichkeit.
Was bedeutet das für dich und für die Gesellschaft?
Neurologisch betrachtet wird Empathie durch die Spiegelneuronen ermöglicht. Wie funktioniert das nun? Das Kind nimmt wahr, wie die Mutter auf bestimmte Affekte, wie z.B. lachen, weinen, ausprobieren usw. reagiert. Geht sie darauf ein und adäquat damit um oder spürt das Kind Ablehnung und Abwehr. Daraus bildet sich ein Erinnerungsmuster beim Kind, welches sich bei wiederholter Erfahrung einprägt. Und entsprechende Synapsen bildet (aus dem Trampelpfad wird eine Autobahn). Daraus entsteht als erstes die Unterwerfung unter die Mutter oder Wut auf den Vater, der den Schutz nicht hergestellt hat.
Wird in früher Kindheit und Jugend Vernachlässigung, Gewalt und emotionale Kälte erlebt, wird nur schwer echte Anteilnahme oder Vertrauen zu anderen Menschen entwickeln werden können. Dazu gehört es auch instrumentalisiert worden zu sein.
Kinder sind enorm anpassungsfähig und merken sehr schnell, auf welche Art und Weise sie sich „Sicherheitsgefühle“ verschaffen können. Sicherheit steht hier auch für, wie kontrolliere ich mein Umfeld, dass es an Bedrohlichkeit verliert. Ein sehr gutes Beispiel ist die Reaktion der Mutter auf Schuld, Reue oder echtes traurig sein des Kindes. Ist die Reaktion auf Reue stärker als auf echtes traurig sein. Das Kind passt sich an und bereut, ob begründet oder nicht. Das Thema Schuld nimmt somit einen größeren Raum im Leben ein, als die Übernahme von Verantwortung oder das zeigen von echten Gefühlen.
Wer hört es nicht am laufenden Band: „Die anderen sind schuld! Ich kann ja nichts dafür! Die haben es angeordnet! Das muss so sein! Da kann ich nichts machen! Die da haben das entschieden! Mein Chef oder die Regierung hat das gesagt usw.!“
Was fehlt hier? Richtig, die Übernahme von Eigenverantwortung und Reflexion des eigenen Empfindens durch das Erlebte. Aber es mangelt auch an Realitätsprüfung, ob frühere Mechanismen, die als Kind noch hochwirksam waren, noch hilfreich und adäquat sind. Findet das nicht statt, formt sich eine Gesellschaft die aus Menschen, mit unbearbeiteten Traumata besteht. Das bedeutet, dass viele Verhaltensweisen, welche aus den kindlichen Regulierungsmechanismen resultieren und im Gehorsam münden, statt der Verantwortungsübernahme für sich selbst und die eigenen Verhaltensweisen. Nun ist all das aber erstmal eine Strategie, Beziehungen und Verbindung zu anderen Menschen herzustellen und damit Zugehörigkeit zu erwirken. Wo und wie können Auswege gestaltet werden?
Im ersten Schritt ist die Anerkennung und Würdigung der eigenen Verhaltensweisen im Kontext einer guten Koregulation hilfreich. Das heißt die Hilfe von anderen wird angenommen und es findet Schritt für Schritt ein Bewusstmachen von Ohn-machtsgefühlen oder anderen Ausprägungen schmerzhafter Empfindungen statt.
ist die Überprüfung, in welchen Lebensbereichen sukzessive Verantwortung übernommen werden kann und was es in der Umsetzung braucht.
Im dritten Schritt wird aufmerksam beobachtet, wo Selbstwirksamkeit spürbar und sichtbar in der Umsetzung in Familie oder Beruf wird. Diese Ressourcen dienen als Fundament für alles Weitere.
Unterstützend in diesem Prozess kann Visions-Arbeit sein, um eigene Potentiale zu entfalten und den Sinn des eigenen Wirkens und Lebens zu erkennen und auszubauen. Dabei spielt das umgebende Umfeld eine große Rolle; lässt es die Entwicklung zu oder wird diese torpediert. Möglicherweise sind hier erste Grenzziehungen zum Eigenschutz erforderlich.
Um ein Leben „Wider dem Gehorsam“ zu führen, lohnt es sich immer damit anzufangen. Denn wie jeder weiß, liegen die Anforderungen in den Unternehmen zunehmend in der Eigenverantwortung und dem Einbringen von Kreativität. Dazu ist eine konstruktive Kommunikation und ein verantwortungsvoller Umgang mit dem eigenen Handeln und das der Anderen erforderlich. Schau dir mal unsere Zukunftswerkstatt an und melde dich, wenn dich das interessiert:
Auf der politischen Ebene ist der mündige Bürger essentieller Bestandteil einer gesunden Demokratie. Mündigkeit geht mit Eigenverantwortung und Selbst-wirksamkeit einher.
Somit ist die Be- und Verarbeitung von nichtfördernden Verhaltensweisen und Traumata entscheidend für eine friedensfähige Gesellschaft. Der Frieden beginnt in uns. Sind wir in einem inneren Kriegszustand, wirkt sich dies gesellschaftlich in Verdrängung, Dominanz-Kämpfen, Psychospielen (siehe auch Drama-Dreieck), Denunziation, Einfordern von Gehorsam und Anpassung, Kontrollsucht u.v.m. aus.
Abschließend lässt sich sagen, dass wir es somit in der eigenen Hand haben, wie wir leben wollen und wie die Gesellschaft und das politische System sein soll.
Ein Hoch auf den Widerstand gegen vorgefertigtem Einheitsbrei und für die Entscheidung zu einem gesunden Leben!
Hilfreiche Links und Themen:
Quellen und Impulsgeber zum Ein- und Nachlesen:
Arno Gruen, Eva Rass, Bessel van der Kolk, Franz Ruppert, Alice Miller, Gerhard Hüther, Hans-Joachim Maaz, Tina Wiegand, Gunther Schmidt, Christian Schubert, Peter Levine, Verena Kast u.v.a.